BEDEUTUNG  DER  RÜCKLÄUFIGKEIT  DER  PLANETEN 
 
IM  RADIX  UND  IM  TRANSIT
 
 
 
Die Qualitäten eines oder mehrerer rückläufiger Planeten im Geburts- oder Transithoroskop erfahren eine Färbung. Welche Charakteristik, welche zusätzliche Bedeutung der Planet durch seine Rückläufigkeit erhält, soll der folgende Text erörtern. Welche aber die individuelle Färbung beim einzelnen rückläufigen Planeten sein kann, soll der dazu bestimmten Fachliteratur zur Einsicht vorbehalten bleiben (z.B.: Rückläufige Planeten – Aufbruch in die innere Landschaft, Erin Sullivan, Edition Astrodata). Hier wollen wir erörtern, an welche Eigenschaften wir generell denken sollen, wenn das klassische ‚R’ nach einem Planeten im Radix oder im Transit erscheint.
 
Ihre Astrid*
 
 
 
Geschichtlicher Hinweis: In der modernen psychologischen Astrologie wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Rückläufigkeit der Planeten vernachlässigt und keine größere Bedeutung beigemessen.
Auch alte Quellen enthalten nur spärliche Hinweise zu den rückläufigen Planeten. Dabei geht es meist nur um düstere Warnungen vor stationären Phasen und den schrecklichen Ereignissen, die sie ankündigten.
Die Rückläufigkeit der Planeten wurde von den Astrologen entweder mit einer viel zu großen Bedeutung beladen, was letztlich lächerlich wirkte, oder völlig ignoriert, was gleichermaßen dumm erscheint.
Beide Probleme sind entstanden, weil wir versucht haben, rückläufige Planeten für sich genommen zu verstehen, ohne ihren Bezug zum gesamten System zu berücksichtigen.
 
Die Rhythmen und Sequenzen, die Wellen und Muster aber, die den rückläufigen und direktläufigen Phasen der Planeten entsprechen, bilden in ihrer Ganzheit eine Symphonie. Der Planet liefert den archetypischen Ton, die Sphäre ist der Resonanzkörper für diesen Ton. Je nach Stellung des Planeten im Verhältnis zu den anderen Planeten schwingt der Ton stärker oder schwächer. Und sie alle konzentrieren sich an der Sonne, die ja immer direktläufig ist gleichmäßig auf ihrer Bahn weiter zieht. Wenn wir über irgendeinen rückläufigen Planeten sprechen, sei es ein innerer oder ein äußerer, dann müssen wir bedenken, dass der Planet nur aufgrund unserer geozentrischen Sichtweise und seiner besonderen Beziehung zur Sonne zu gewissen, vorhersagbaren Zeiten rückläufig wird. Da die Sonne letzten Endes der bestimmende Faktor der Rückläufigkeit ist, besteht zwischen der Natur des rückläufigen Planeten und der Sonnenstellung im Horoskop ein besonderes Verhältnis, welches unter ‚Horoskopanalyse’ in dieser Abhandlung näher beschrieben wird.
 
Die ‚Natur’ des rückläufigen Planeten
 
Auf einem Nenner gebracht kann man sagen, die Rückläufigkeit verstärkt und konkretisiert die innere Erfahrung. Rückläufige Planeten weisen in ihrer individuellen Qualität „introvertierte“ Charakteristiken auf.
Rückläufigkeit bedeutet, das Leben auf sehr persönliche und innerlich schöpferische Weise zu betrachten. Das System eines Ich, auf das rückläufige Planeten einwirken, entwickelt sich nicht getreu dem Diktat der Familie oder später der Gesellschaft, sondern in seiner eigenen Zeit und auf seine eigene Weise.
Wer einen oder mehrere rückläufige Planeten im Horoskop hat, sollte sich bemühen, im Hinblick auf die eigene Wirkung auf die Umgebung eine gewisse Objektivität zu wahren – im Hinblick auf den Einfluss auf andere Menschen und in der Sphäre der eigenen Aktivitäten. Wenn ein Planet rückläufig ist, geht diese Objektivität oft verloren, und der Betreffende erfährt das Prinzip des rückläufigen Planeten äußerst subjektiv. Oft ist er im sozialen Ausdruck dieser Prinzipien unsicher und hilflos, bis er eine gewisse Reife und ein gewisses Selbstvertrauen errungen hat. (Aus Sicht der Karmalehre hat der Horoskopeigner in seinen vorausgegangenen Existenzen die Aufgaben, die durch diesen Planeten angekündigt wurden, nicht erfüllt. Deshalb muss er in der jetzigen Existenz sich darum bemühen, hierhin aufzuholen.)
Nachdem die Energie bei einem rückläufigen Planeten nach innen gerichtet ist, geschieht das auf Kosten der äußeren Antriebskraft des Planeten. Eines der Probleme, die sich durch einen rückläufigen Planeten ergeben, ist die Tatsache, dass die Chancen dieses Planeten, zur Reife zu kommen, geringer sind als die eines direktläufigen Planeten. Teilweise liegt das an seiner großen Subjektivität und seiner fehlenden Erfahrung in der Welt, teilweise auch an seiner Rebellion gegen das „System“, ob es sich dabei um das Sonnensystem im Horoskop oder um das kulturelle System handelt. Der symbolische Kampf mit der Sonne ist verinnerlicht, und solange der Konflikt nicht bewusst gelöst wird, bleiben die Funktionen des Planeten primär eine interne Angelegenheit.
Der Planet spielt des Teufels Advokat, bis er in das Gesamtsystem integriert ist und einen Aufgabenbereich findet, der seinem Wesen entspricht. Genau wie ein introvertierter Mensch vorsichtig zum Austausch bewegt werden muss, braucht ein rückläufiger Planet Zuwendung und Achtung für seine „Wesensart“.
 
Die fehlende Antriebskraft – sogar das Fehlen des Bedürfnisses -, die Anforderungen eines rückläufigen Planeten in der Gesellschaft zu erforschen, ist vor allem in der symbolischen Dominanz der Sonne über diesen Planeten begründet. Wir könnten annehmen, dass das solare Prinzip zu einer gewissen Extrovertiertheit führt, doch das Gegenteil ist der Fall, und die Folge ist eine Umlenkung der Energie nach innen und ein innerer Kampf. Erst wenn der Betreffende durch geteilte Gefühle, Erfahrungen und Ideen anderer Menschen vom Gegenteil überzeugt wird, entsteht ein Bewusstsein für die eigene Isolation im betreffenden Bereich. Natürlich gilt dies im gewissen Maße für jeden Menschen, doch beim Umgang mit rückläufigen Planeten tritt dieses Problem stärker zutage.
Die Tatsache, dass alle Planeten – innere wie äußere – der Erde in ihren rückläufigen Phasen am nächsten sind, ist ein Symbol für die Subjektivität. Psychologisch übersetzt bedeutet dies, dass die rückläufigen Energien schwerer als vom eigenen Ich getrennt zu erfahren sind. So könnte die Funktion des Planeten kindlich und primitiv bleiben, die eigenen Erlebnisse werden für kollektive Erfahrungen gehalten, die eigene Subjektivität wird nicht gesehen, bis ein Erlebnis in der Außenwelt irgendeine Art von Erwachen auslöst. Im Grunde bleibt der rückläufige Planet seiner archetypischen Natur näher, er bleibt naiv, was aber nicht bedeutet, dass er weniger durchsetzungsfähig oder einflussreich ist. Insgesamt ist der Beitrag des rückläufigen Planeten zur Gesamtpersönlichkeit aber nicht so direkt wie der eines direktläufigen Planeten.
Ein Mensch mit einem rückläufigen Planeten kann sich oft unsicher fühlen und zögern, wenn es darum geht, die eigenen Interessen im betreffenden Bereich zu formulieren. Sie werden versteckt oder verdrängt, und so entstehen Beschreibungen wie langsam, introvertiert, zurückgeblieben, Spätzünder, asozial, exzentrisch (azentrisch wäre passender), um nur ein paar zu nennen. Es ist das Gefühl der Minderwertigkeit und des Unbehagens, das auf mangelnder Erfahrung und fehlendem Ausdruck beruht, das die Einschätzung als asozial erzeugt, aber gewiss nicht die Natur des rückläufigen Planeten selbst!
Es ist merkwürdig, dass wir uns in den eigenen Augen minderwertig fühlen können, ohne dass andere diese Einschätzung teilen, doch geschieht dies oft, wenn rückläufige Planeten im Spiel sind.
Die bewusste Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse des rückläufigen Planeten muss aktiv entwickelt werden. Der innere Kampf muss bewusst geführt werden, damit zwischen dem inneren Sonne-Vater und den aufkeimenden Energien des Planeten, der von der Sonne kontrolliert wird, eine gleichberechtigte Beziehung entsteht.
 
In jedem rückläufigen Planeten steckt eine unterdrückte Wut, die geäußert werden muss. Ein im Radix rückläufiger Planet beschert uns mitunter nicht nur Depressionen und Auflösungsgefühle, sondern auch einen Eindruck von Sinnlosigkeit und Ohnmacht in eben jener Energiesphäre, die durch den Planeten repräsentiert wird.
Wenn der Einzelgänger zur Familie zurückkehrt, um seinen Beitrag zu leisten, bringt er oft einzigartige, exotische Geschichten mit, köstliche fremde Düfte und einen breiteren, weniger ichbezogenen Blick auf die Welt, die er gesehen hat. Er könnte triumphierend heimkehren, nachdem er Drachen erschlagen, Jungfrauen gerettet und heilige Grale erobert hat. Vielleicht kommt er auch gekrochen, geschlagen und gedemütigt. So oder so, der rückläufige Planet muss in sein Heim zurückkehren, um von dort aus abermals zur Erforschung neuer, ferner und äußerst subjektiver Horizonte aufzubrechen!
Zusammenfassend kann man also zur Horoskopanalyse eines rückläufigen Planeten im Radix folgendes definieren: Das Haus, in dem der rückläufige Planet steht, symbolisiert den Lebensbereich, der am unsichersten und am stärksten behindert ist und der einigen Reizen und Anregungen ausgesetzt werden muss, damit der betreffende Mensch seine schöpferischen Fähigkeiten verwirklichen kann. Umgekehrt zeigen Zeichen- und Häuserstellung der Sonne den Bereich, in dem der schöpferische Geist am leichtesten entwickelt und ausgedrückt werden kann. Die Ausdrucksformen sind dabei beispielhaft für die Erfahrungsebene, die dem betreffenden Haus zugeordnet ist. Die Sonne dient als Brennpunkt oder Linse, durch welche der Planet seine „direktläufige“ Seite demonstrieren und die schöpferische Blockade mit dem Licht der Sonne erhellen kann.
 
Rückläufige Zyklen der inneren Planeten:
Die Umlaufzeiten von Merkur und Venus sind kürzer als die der Erde. Merkur braucht 88 Tage, um einmal die Sonne zu umkreisen, Venus etwa 225 Tage (die Umlaufzeit der Erde beträgt 365 ¼ Tage).
Merkur wird im Laufe von etwa dreizehn Monaten dreimal rückläufig. Der Planet holt ungefähr alle 116 Tage die Erde ein und bildet eine untere Konjunktion mit der Sonne.
Venus bildet etwa alle 584 Tage eine untere Konjunktion mit der Sonne und wird deshalb im Laufe von etwa 18 Monaten nur einmal rückläufig.
Das System ist das gleiche, auch wenn sich die rückläufigen Zyklen von Merkur und Venus in ihrer Dauer stark unterscheiden.
 
Dauer der rückläufigen Phase der äußeren Planeten:
Mars ist mit 9% seiner Umlaufzeit rückläufig, also ungefähr sechzig bis achtzig Tage in etwa sechsundzwanzig Monaten. (Venus ist mit 7% am seltensten rückläufig, Mars folgt an zweiter Stelle.)
Jupiter ist etwa 30% der Umlaufzeit rückläufig, was ungefähr 110 Tagen pro Jahr entspricht.
Saturn ist etwa 35% der Umlaufzeit rückläufig, was ungefähr 130 Tage pro Jahr entspricht.
Uranus ist etwa 41% seiner Umlaufzeit rückläufig, was 150 Tagen pro Jahr entspricht.
Neptun ist etwa 43% seiner Umlaufbahn rückläufig, was etwa 157 Tagen entspricht.
Plutos Umlaufbahn ist recht exzentrisch, so dass er in verschiedenen Zeichen unterschiedlich lange bleibt. Im Stier hält er sich zweiunddreißig Jahre auf, im Gegenzeichen, dem Skorpion, nur elfeinhalb Jahre. Dennoch treten seine aufeinanderfolgenden Oppositionen jedes Jahr nur einen Tag später ein. Er ist etwa 44% seiner Umlaufzeit rückläufig, was etwa 156 bis 161 Tagen pro Jahr entspricht.