Zensor Saturn

Von alters her gilt Saturn als der Schicksalsplanet*. Man glaubte, dass dort, wo dieser Planet im Horoskop platziert ist, mit harten Schicksalsschlägen zu rechnen ist. So als ob Schicksal etwas Determiniertes wäre, etwas, das nur von außen auf einen zukäme!

In Wirklichkeit symbolisiert Saturn im Horoskop nur die Ideale, Maßstäbe, Normen, Gebote und Verbote, die dem Einzelnen vermittelt wurden. Er symbolisiert also das Über-Ich des betreffenden Menschen, das familien-, kultur- und zeitepochenspezifisch ist.

Trotzdem erhebt das Über-Ich den Anspruch, allgemein gültig zu sein. Die Aufgaben des Einzelnen sind deshalb, sich der Inhalte des eigenen Saturn bewusst zu werden und die jeweiligen Maßstäbe und Regeln abzustreifen, die sich überlebt haben, weil sie mit der Wirklichkeit des Lebens und der heutigen Zeit nicht mehr vereinbar sind.

Solange man die alte Moral und an die tradierten Konventionen glaubt, können sich alle Anlagen und Energien im Horoskop nicht entfalten. Sie unterstehen gewissermaßen einem innerem Strafgereicht, das jegliche individuelle Lebensäußerung im Keim zu ersticken versucht.

Jede Anlage im Horoskop kann also, solange die Tyrannei dieses inneren Zensors besteht, nur im Rahmen des engen Spielraums, den Saturn zulässt, zum Ausdruck gebracht werden. Jeder darf demnach einen moralischen Mars, eine moralische Venus, einen moralischen Merkur, einen moralischen Mond, eine moralische Sonne … leben.

Das Motto des „alten“ unerlösten Saturn lautet: So und nicht anders musst du sein, wenn du ein anständiger Mensch sein willst. Obwohl der herkömmlichen Moral die gute Absicht inhärent ist, das Chaos zu ordnen und mehr Menschlichkeit zu schaffen, erzeugt sie dennoch meist gerade das Gegenteil. Was hier häufig nicht beachtet wird, ist der Unterschied zwischen Moral und Ethik. Moral beschreibt die gesamtgesellschaftlichen Spielregeln, auf die sich die Menschen einer bestimmten Zeit geeinigt haben. Ethik ist der sittliche Kern, das tiefe Wissen um menschliche Würde und Integrität.

Da die traditionelle Moral nicht auf der realen Natur aufbaut, können auch die Ergebnisse nicht positiv sein. Denn die konventionellen Moralvorstellungen basieren auf Treibverleugnung, auf den althergebrachten Formen von „Anstand“, „Sauberkeit“ und „Ordnung“, was gleichbedeutend ist mit der Verleugnung der eigenen Interessen, Wünsche, Träume und Ziele, auf der Fixierung, den Partner unbedingt besitzen zu müssen, auf den Maßstab „Treue bis in den Tod“ … .

Vom Gesichtspunkt des Lebens aus kann und muss es den Betreffenden egal sein, wie die anderen – und sei der eigene Partner, das eigene (erwachsene) Kind oder sonstige nahe Bezugspersonen – ihr Leben leben. Jeder ist für sein eigenes Leben verantwortlich und hat im Leben des anderen nichts zu bestimmten.

Je weniger jedoch jemand sich selbst lebt, umso mehr neigt er dazu, auf seine Mitmenschen zu projizieren und deren Leben zu kontrollieren. Er meint: Nur wenn sich seine Mitmenschen an die herkömmlichen Normen halten, also nicht ihr eigenes Leben leben, hat er die Gelegenheit, Anerkennung zu ernten.

(Aus dem Buch von Hermann Meyer: Das Grundlagenwerk der psychologischen Astrologie)

 

*Heute wird Saturn eher als der „Prüfer“ bezeichnet und seit der Entdeckung der drei transpersonalen Planeten Uranus, Neptun und Pluto, gilt letzterer als Schicksalsplanet. Pluto entspricht dem Prinzip Sterben/Werden und der Transformation/Regeneration (Saturn ist „der Wächter der Zeit“). Wo er im Horoskop steht (vor allem im Zusammenhang mit Spannungsaspekten), hat er zusammen mit Uranus (Individuationsprinzip) am meisten mit „Lebensschule“ zu tun. Hier wird uns häufig „etwas geschickt“ (Schick-sal), damit wir uns unser besinnen und eventuell Korrekturprozesse einleiten bzw. Energie umleiten/transformieren.